Das persönliche Statement unserer 1. Vorsitzenden zur aktuellen Situation aufgrund des Spiegelartikels und dessen Folgen:
Eine Dokumentation in der Schweiz, Kliniken entlassen Psychologen, nehmen keine DIS-Patienten mehr auf, die Patienten stehen allein da. Eine Tagung wird abgesagt, eine Dozentin von einer anderen ausgeladen. Eine Zeitung veröffentlicht einen „False-Memory-Fall“, stellt eine ganze Berufssparte unter Generalverdacht ihren Patienten im großen Stil Erinnerungen einzureden und Mythen und Verschwörungstheorien zu verbreiten, an denen nichts dran sei. Die dazu gehörige Beratungsstelle schließt, die Therapeuten werden entlassen und die, die dort Hilfe bekommen haben stehen auch hier jetzt ohne da…
Was ist da los???
Ich habe keine Ahnung, aber es gruselt mich. Ich bin „betroffene Helferin“. Also jemand, der so Menschen kennt, die Erinnerungen an furchtbar gruselige Dinge haben und damit jemand, der versucht ihnen zu helfen damit klarzukommen.
Ich will da neue Therapieformen finden und finde das, was die Gesellschaft bisher für die Betroffenen getan hat viel zu wenig. Deswegen ja die Idee mit dem Hofprojekt. Es gibt kaum spezialisierte Kliniken oder niedergelassene Therapeuten, die sich mit dem Thema beschäftigen. Die Stundenkontingente, die man dafür hat, sind auch nicht höher als für eine normale, „einfache Traumastörungen“. Alle Therapeuten, die ich aus dem Bereich kenne, machen ehrenamtlich Dinge nach den Sitzungen für die Betroffenen, müssen schauen, dass sie nicht ins Burnout fallen und die Therapien deswegen nicht abbrechen müssen. Deswegen will ich diesen Hof haben. Um beiden Seiten zu helfen. Weil die Situation vorher schon echt „schlecht“ war. Und jetzt?
Ein Erdrutsch. Der Boden nicht abzusehen – ebenso wie viel Hilfe den Betroffenen noch entzogen werden soll. Wer steht noch zu den Betroffenen? Wie viele Therapeuten werden sich aus Angst zurückziehen? Heute (21.03.2023) hat die Aufarbeitungskommission Stellung bezogen auf ihrer Homepage. Für die Betroffenen eine Erleichterung. Aber wer liest es, wenn man nicht aktiv sucht? Und wo kommt die Hilfe her, die der Verein braucht, um das Hofprojekt zu realisieren, wenn in viel gelesenen Zeitungen behauptet wird, das Problem ORG sei nicht existent, weil
a) die Therapeuten es eingeredet haben
b) die Patienten es sich selbst eingeredet haben
c) wenn man nichts findet, kann auch nichts dran sein an dem, was da behauptet wird.
Eine steile These, wenn ihr mich fragt.
Und wenn man dann sagt, vielleicht waren die Methoden schlecht mit denen man es bisher versucht hat? Weil es sich um eine bizarre „Parallelwelt“ handelt, die mit den normalen Strategien nicht zu fassen ist? Dann bin ich Verschwörungstheoretiker, die sich verschanzt, sich nicht angreifbar machen will.
Nein, das will ich nicht. Ich will, dass ordentliche Forschung betrieben wird. Nicht dass die Menschen, die versuchen da Forschung zu betreiben diffamiert werden. Und alles, was sie raus gefunden haben in den Müll wandert.
Auch dafür brauchen wir den Hof ergänzend zu dem, was an Forschung betrieben wird. Unvoreingenommen Betroffene mit all ihren Anteilen kennenlernen und miteinander sortieren was da läuft und gelaufen ist. Denn auch den Betroffenen ist klar, dass ihnen viel Mist eingeredet und vorgespielt wurde. Aber nicht von Therapeuten oder von sich selbst. Sondern von Dritten.
Traumafolgestörungen hat man, weil ein Trauma passiert ist. In dem Rahmen der Diskussion über Organisierte und Ritualisierte Gewalt wird auch häufig gleich mit angezweifelt, dass es eine Dissoziative Identitätsstörung (DIS) wirklich gibt. Was ja schon sehr praktisch wäre. Wer will schon glauben, dass es Ereignisse gibt, die kleinen Kindern die Seele zerfetzen, so sehr, dass sie es im Alltag nicht mehr wissen (ja… provokant formuliert. Nach dem Stand der Wissenschaft bildet sich gar nicht erst ein kohärentes Bewusstsein). Und wenn dann durch „normalen“ mittlerweile toleriertem (im Einzelfall meist trotzdem nicht geglaubtem) Sexuellen Missbrauch oder anderweitig versagenden Bezugspersonen… Aber dass man so was absichtlich macht? Das darf nicht sein. Das ist nicht so. Gibt keine Beweise. Und wenn man was anderes behauptet ist man Verschwörungstheoretiker. Schon wieder.
Vielleicht versucht man aber auch, wie ich, ein Phänomen zu lösen, zu erklären und zu lindern, dass man beobachtet hat. Das einem (in dem Fall mir) therapeutisch vor die Füße fiel. Mit dem ich umgehen lernen musste, wollte ich die Patientin nicht einfach wieder wegschicken, nachdem sie ein Jahr lang brav gekommen war, ohne dass ich gecheckt habe, was los war. Sie auch nicht. Irgendwann passierte was, was die Erinnerungen ins Rollen brachte. Beide waren überrumpelt, schockiert und zunächst deutlich überfordert. Und dann haben wir angefangen uns zu informieren und nach Lösungen zu suchen. Hat uns dabei das Expertenwissen geholfen? Sicherlich ein Stück weit. Aber vieles ist nicht auf jeden übertragbar und man muss selbst überlegen, was man macht. Schlafarme Nächte, erhöhter Schokoladenkonsum, Gedankenwirrwar etc. waren die Folge.
Verständnis von außen? Wenig. Zu bizarr das Erzählte, zu weit weg von aller Vorstellungskraft. Würde ich es glauben, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte? Die Wechsel und Flashbacks und die verheerenden Folgen für die Psyche? Vermutlich hätte ich große Schwierigkeiten. Beim Lesen von Büchern ist mir das auch häufig passiert. Was ist real, wo sind auch Autoren auf gezielt erzeugte Erinnerungen bei den Betroffenen, die ängstigen und paranoid machen sollen, reingefallen, auf die auch die Betroffenen selbst reingefallen sind? Irreale Erinnerungen soll man nicht erzeugen können? Das ist das Selbe, was man mit Kindern mit der Geschichte vom Weihnachtsmann macht. Nur haben Innenkinder nicht die Möglichkeit es später zu überprüfen. Außer in Therapien. Ich war bei den geschilderten Erlebnissen nicht dabei, ich weiß es nicht, erlaube mir kein Urteil. Viele waren nicht dabei und behaupten trotzdem Dinge zu wissen und urteilen zu können. Warum? Hybris? Angst? Bequemlichkeit? Anderes Eigeninteresse?
Es gibt False Memory. Natürlich. Hilft es den Opfern immer False Memory zu unterstellen? Nein, es hilft den Tätern. Verurteilungen im Bereich kindlichen Missbrauchs sind sehr selten. Kindliche Erinnerungen können falsch sein. Sind es auch nachweislich schon gewesen. Da musste ich mich aber noch nie rechtfertigen, wenn ich die Opfer behandle, ohne dass es Beweise dafür gibt oder die Patientin gegen den Täter vorgehen will. Im Gegenteil. Das ist anerkannt. Dafür bekomme ich eher Lob und Respekt, weil ich mich mit diesem Müll auseinandersetzen kann. Ohne jemandem was einzureden. Wie man das macht, bekommt man im Studium, in der Ausbildung und in jeder Fortbildung zum Thema Trauma beigebracht.
Bei ORG? Da kommen andere Aussagen: Warum glaubst du das denn? Warum willst du nicht wissen was dahinter steckt? Warum gehst du nicht zur Polizei? Du lässt dich wohl für dumm verkaufen. Du glaubst auch unhinterfragt alles, was deine Patienten sagen… Die anderen Aussagen kommen natürlich auch, also dass das mutig ist oder taff. Aber seltener. Und meist mit der Aufforderung auf mich aufzupassen und die Patienten lieber sich selbst zu überlassen. Engagement für die Opfer? Sehr starker drop-out. Aber ein paar Engagierte gibt es, sonst gäbe es den Verein nicht. Zum Glück. Sonst wäre mein Glaube an die Menschheit total am A…
Und ich weigere mich klein beizugeben, weil irgendwelche Schwarz-Weiß-Denker von ihrer „False-Memory-Idee“ nicht runterkommen. Ja das Phänomen gibt es. Kann man alles mit False Memory erklären? Sicherlich nicht. Ich kenne mindestens einen Fall, in dem ich zweifelsfrei belegen kann, dass es sich nicht um False Memory handelt. Ist alles wahr, was die Betroffenen erinnern? Sicherlich auch nicht (es gibt ja auch keinen Weihnachtsmann). Kann ich wissen, was wirklich passiert ist? Bestimmt nicht. Ich war nicht dabei. Ich bekomme aber durch Flashbacks Infos die sehr realitätsnah dem gegenüber sind was erlebt wurde. Also „live dabei“ bei dem, was die Patientin damals erfahren hat. Was wirklich los war wissen beide nicht. Nur dass es sehr weh tat und sehr tiefe Spuren hinterlassen hat. Und dass man diese Spuren lindern muss. Und das will ich tun.
Zum Thema Mind-Control: Der Begriff ist mir auch zu wild. Konditionierung trifft es besser. Und ob gezielt gespalten wird oder es halt unter der Folter nebenbei passiert? Oder was in welchem Maß? Für die Behandlung ist das nicht so wichtig. Der Umgang damit ist wichtig. Und dass die Betroffenen lernen damit zu leben und die Vergangenheit und die zerstörerischen Strukturen hinter sich lassen können. Dass Geheimdienste das nicht schaffen? Ich hoffe doch… Foltern an Kleinkindern ist verboten. Und die, die das tun, werden keine Beweise hinterlassen. Die wissen das nämlich auch und haben viel zu verlieren. Schweigegebote habe ich schon von Innenkinder gehört, die kaum sprechen konnten, so jung waren sie noch. Es wird nicht geredet. Es wird nichts aufgeschrieben (die Älteren). Alles hat eine normale Erklärung.
Deswegen: Bitte, bitte, bitte: helft den Opfern und nicht den Tätern.
Ich weiß, es ist einfacher und angenehmer zu glauben, dass es so schlimme Dinge nicht gibt. Und dann nichts zu tun. Aber es hilft der Gesellschaft nicht weiter. Es hilft nicht dabei ein besserer Mensch zu werden. Anpacken hilft. Den Opfern, der Gesellschaft und letztendlich auch einem selbst.
Ein Kommentar zu “Statement zur Verleugnung von Organisierter und Ritualisierter Gewalt (ORG)”